Legitimation der AT

Warum dürfen die Aufgabenträger das tun, was sie tun?
Diese Seite gibt einen Überblick über die Legitimationskette von den Bürgerinnen und Bürgern bis zu den AT.

In diesem Beitrag geht es um demokratietheoretisch relevante Unterschiede zwischen den AT, die für das praktische Verständnis der Struktur des SPNV nicht zwingend erforderlich sind.

Diese Perspektive ist dann wichtig, wenn es um die Beschreibung der Legitimation der AT geht: Warum darf ein AT bestimmen, ob es auf einer Strecke einen Stundentakt gibt oder doch nur einen 2-Stunden-Takt? Warum kann er den letzten Zug am Abend »abbestellen«? 

Zuständigkeit für den SPNV


Die Zuständigkeit für den SPNV ging zum 1.1.1996 vom Bund auf die Länder über. Sie sind seitdem die Aufgabeninhaber und dürfen und müssen den SPNV in ihrem Gebiet organisieren. Sie erhalten dafür Mittel vom Bund, die Regionalisierungsmittel. In allen weiteren Belangen sind sie in ihrer Entscheidung frei. Der Bund hat keine Vorgaben gemacht zu Mindestfrequenzen oder Qualitätsstandards. Es ist auch nicht vorgeschrieben, die Regionalisierungsmittel vollständig für den SPNV zu verwenden. Die Mittel sollen zwar »insbesondere« (vgl. § 6 Abs. 1 RegG) für den SPNV verwendet werden. Den Ländern steht es aber frei, damit auch andere Aufgaben aus dem Haushalt zu finanzieren.


Auch die Form, in der die Länder den SPNV organisieren, ist ihnen überlassen. Die Länder als Aufgabeninhaber (AI) haben dazu Aufgabenträger (AT) gegründet, die sich in vielfältiger Hinsicht voneinander unterscheiden. Je nach Betrachtungswinkel - politikwissenschaftlich, verwaltungswissenschaftlich oder juristisch - treten verschiedene Muster und Kategorisierungen hervor. Im Folgenden wird eine politik- und eine verwaltungswissenschaftliche Einordnung vorgenommen.

Legitimationskette 1: Politikwissenschaftliche Sicht


Die politikwissenschaftliche Sicht interessiert sich für die Frage, WER innerhalb des Aufgabeninhabers (AI) die Aufgabe wahrnimmt und welche Mechanismen der Entscheidungsfindung greifen.


Hier haben wir bereits kennengelernt, dass die SPNV-Gebiete teils ein ganzes Bundesland umfassen, teils aber auch kleinteiliger sind. Daran knüpfen wir jetzt an: Handelt es sich beim AI für ein SPNV-Gebiet um eine einzige Gebietskörperschaft, zum Beispiel ein Bundesland oder einen Landkreis, so liegt die Entscheidungsgewalt sowohl beim jeweiligen Parlament (Landtag, Kreistag), als auch bei der jeweiligen Exekutive (Ministerien, Kreisämter). Die Aufgabenwahrnehmung erfolgt im Zusammenspiel aus demokratisch gewählter Politik und (ministeriellem) Verwaltungshandeln.


Haben mehrere Gebietskörperschaften (GK) gemeinsam die Aufgabe inne, treten dagegen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zutage:

  • Es gibt Aufgabeninhaber, bei denen parlamentarische Gremien die zentrale Koordinierungsinstanz zwischen den einzelnen GK im SPNV-Gebiet bilden. 
  • Es gibt aber auch Aufgabeninhaber, bei denen eher administrative oder aufsichtsratsähnliche Gremien diese Koordinierungsfunktion wahrnehmen. 

Bei ersteren liegt der Fokus folglich auf der Legislative und ihrer Verfahrenslegitimation durch Wahl und Abstimmung. Bei letzteren treten exekutive Elemente stärker hervor und betonen das Legitimationsprinzip der administrativen Zuständigkeit.


Ein Beispiel zur Verschiedenheit der AT bei mehreren beteiligten GK: Der RMV (einer der AT in Hessen) agiert eher »exekutiv«; dort ist die Politik nur in einer Art Aufsichtsrat vertreten. Der VRS (einer der AT in Baden-Württemberg) agiert »parlamentarisch«; hier gibt es ein eigenes Parlament - mit Fraktionen und Ausschüssen - für die Aufgabe SPNV.

Karte zu den Beispielen RMV und VRS

Dieser Unterschied hat Folgen für die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger: Die Abgeordneten des VRS-Parlaments werden durch das Wahlvolk innerhalb des Verbandsgebiets gewählt. Die Wahl findet zusammen mit der Kommunalwahl in Baden-Württemberg statt. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats des RMV ist dagegen nicht direkt durch das Wahlvolk bestimmbar. Sie ergibt sich mittelbar aus den Wahlergebnissen in den beteiligten GK und dann wiederum mittelbar daraus, welche Personen diese GK in den RMV entsenden. Auch die Transparenz der Entscheidungsprozesse ist durch diesen Unterschied beeinflusst: Während es im VRS-Parlament öffentliche Drucksachen gibt, sind die Entscheidungsvorlagen im RMV-Aufsichtsrat nicht öffentlich zugänglich. 

Zwischen diesen beiden Extremen - dem RMV und dem VRS - gibt es zwei weitere Zwischenstufen: So verfügen weitere AI über legislative Gremien, deren Legitimation aber indirekter ist als bei einem vollwertigen Parlament: Einige AI bestimmen die Zusammensetzung ihrer legislativen Gremien nicht durch Volkswahl, sondern durch indirekte Wahl aus den GK der AI. Wiederum andere entsenden in diese legislativen Gremien keine Abgeordneten aus ihren GK-Parlamenten, sondern ihre jeweilige Exekutive (etwa die Bürgermeister und Landräte der GK der AI).


Es ergibt sich ein Kontinuum aus vier Stufen, das von der rein exekutiven Aufgabenwahrnehmung ohne Parlamentscharakter über die »bundesratsähnliche« Entsendung der Exekutiven und die indirekte Wahl eines Parlaments bis zur Volkswahl eines Parlaments reicht.


Die folgende Karte ordnet alle Aufgabeninhaber, die sich aus mehreren Gebietskörperschaften zusammensetzen, diesen vier Typen zu.

Karte zur politikwissenschaftlichen Legitimation der AT

Alle Typen - ob monogebietskörperschaftlich oder in den vier multigebietskörperschaftlichen Varianten - verbindet die gleiche Aufgabenstellung: Sie sind die Inhaber der Aufgabe des SPNV und sollen den SPNV in ihrem jeweiligen Gebiet entsprechend bestmöglich gestalten.

Legitimationskette 2: Verwaltungswissenschaftliche Sicht


Die verwaltungswissenschaftliche Sicht interessiert sich dagegen für die Frage, WIE die Aufgabenwahrnehmung organisiert und ggf. zwischen verschiedenen Institutionen aufgeteilt ist.


Hier ist zu unterscheiden zwischen Aufgabeninhabern (AI), die die Aufgabe SPNV selbst ausführen und solchen, die die Aufgabe auf eine Unterstützungsorganisation übertragen haben. Als Mittelweg existiert noch die Variante, bei der der AI die Aufgabe SPNV zwar letztinstanzlich selbst ausführt (also z.B. den Vertragsschluss mit den EVU selbst vornimmt), aber alle vor- und nachbereitenden Tätigkeiten (z.B. die Angebotsplanung und das Vertragsmonitoring) einer Unterstützungsorganisation überlässt.


Jede der drei hier genannten Varianten ist mit den oben (im politikwissenschaftlichen Teil) genannten Varianten kombinierbar. Die folgende Karte zeigt die Zuordnung der Aufgabenwahrnehmung - die »Aufgabenträgerschaft« in allen Gebieten:

Karte zur verwaltungswissenschaftlichen Legitimation der AT

Randnotiz: In der Praxis hat sich eine Benennung der einzelnen SPNV-Gebiete etabliert, die systematisch nicht konsistent ist. Es gibt leider in der Branche keine Verständigung darüber, ob ein SPNV-Gebiet nach seinem Aufgabeninhaber, seinem Aufgabenträger oder (falls vorhanden) seiner Unterstützungsorganisation benannt wird. Die Karte hier zeigt deshalb die in der Branche etablierten Benennungen ohne Rücksicht auf die in diesem Kapitel vorgestellten Differenzierungen. Auch in allen weiteren Darstellungen auf dieser Website werden die branchenüblichen Begriffe verwendet.


Beispiele für unterschiedliche Darstellungen

Bayern

Übliche Benennung des
SPNV-Gebiets: 
BEG

Systematischer Rang der BEG: Unterstützungsorganisation und Aufgabenträger

Wer wird nicht genannt?
BayStM für Verkehr
als Aufgabeninhaber

Ostsachsen

Übliche Benennung des
SPNV-Gebiets: 

ZVON

Systematischer Rang des ZVON: Aufgabeninhaber und Aufgabenträger

Wer wird nicht genannt?
VON GmbH
als Unterstützungsorganisation 

Berlin

Übliche Benennung des
SPNV-Gebiets:
 
VBB

Systematischer Rang des VBB: Unterstützungsorganisation


Wer wird nicht genannt?
Senatsverwaltung für Mobilität
als Aufgabeninhaber und Aufgabenträger